In Luhden zur Ruhe kommen: Familie Schmidt-Hauschildt hat fünf Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen
Werbung

(Luhden) Herzlich wirkt Valentyna Khyzhnjak, als sie am Küchentisch sitzt und von ihrer Familie berichtet. Doch als die Sprache auf ihren Mann und ihren Sohn kommt, stockt ihr die Stimme, Tränen steigen der 60-jährigen Ukrainerin in die Augen. Denn beide, Mann und Sohn, sind noch immer in Kiew. Während Valentyna mit ihrer Schwiegertochter und den Enkeln versucht, in Luhden den Schrecken des Krieges hinter sich zu lassen, sind die Gedanken immerfort bei jenen, die sie dort zurücklassen mussten.

Bei Jutta Schmidt-Hauschildt und Rüdiger Schmidt aus Luhden ist die fünfköpfige Familie in einer kleinen Einliegerwohnung im Obergeschoss untergekommen. Hier fühlen sie sich sehr wohl und willkommen, berichtet Valentyna. Doch es hat einige Tage gedauert, bis alle fünf begriffen haben, dass sie nun in Sicherheit sind, zu stark und prägend waren die Angst und die Bilder des Krieges.

Traumatische Ereignisse in Kiew

Mehr als eine Woche hat die Flucht der Familie, bestehend aus Valentyna sowie ihrer Schwiegertochter Alla und den Enkeln Artur, Arsen und Anastasiya, gedauert, bevor sie in Luhden ein neues Zuhause fanden. Ihr altes Zuhause, nahe dem Kiewer Zentrum, mussten Sie zurücklassen, ebenso den Großvater, Sohn und die Hauskatze. Zunächst hatten sie im Keller des Hauses ausgeharrt, als die ersten Attacken den Flughafen Hustomel, ganz in der Nähe, trafen. „Wegen der Schüssen konnten wir nicht mehr schlafen“, erinnert sich Valentyna. Anschließend blieb die Familie fast eine Woche in der U-Bahn, davon zwei Tage ohne Wasser und mit dem stetem Klang der Sirenen im Ohr. Wenn die Familie morgens wieder aus dem Untergrund hervorkamen, konnten sie die Zerstörung live sehen. „Kaputte Autos und tote Soldaten, das war schlimm, vor allen für die Kinder“, denkt Valentyna zurück. Dennoch hatte die Familie gehadert, ob und wann sie Kiew verlassen sollte. Als die Schüsse näher kamen, lauter wurden, die Lage sich weiter zuspitzte, gab es keinen anderen Weg mehr für sie. Der Ehemann von Valentyna packte sie alle ins Auto und fuhr sie zum Hauptbahnhof.

Rüdiger Schmidt (li.) und Jutta Schmidt-Hauschild (2.v.re.) sind froh, dass sie der Familie um Großmutter Valentyna (2.v.li.) aus der Ukraine ein sicheres Zuhause geben können.

Mehr als eine Woche auf der Flucht

Von dort aus ging es in überfüllten Zügen den beschwerlichen Weg nach Lwiw, anschließend über mehrere Zwischenstationen nach Krakau bis nach Köln und schließlich nach Luhden. „Die Züge waren voll, überall waren Menschen im Gang. Es war sehr laut und viele Kinder haben geweint“, erzählt Valentyna weiter. Nun wähnen sie sich in Sicherheit, doch Valentynas Ehemann und ihr Sohn, Allas Ehemann, sind immer noch in Kiew und verteidigen ihr Zuhause. Zwar werde täglich telefoniert und Nachrichten geschrieben, doch ist die Verbindung aktuell schlecht und wenn dann keine Kontaktaufnahme möglich ist, werden die Sorgen umso größer. Jeden Tag verfolgt die Familie die Nachrichten. Tags zuvor wurde ein Einkaufszentrum in Kiew bombardiert, ebenfalls in unmittelbarer Nähe ihrer Häuser. „Gestern hatte mein Sohn seinen 37. Geburtstag, da war es besonders schwer. Die Kinder haben für ihren Vater am Telefon gesungen“, sagt Valentyna traurig. „Ich muss immer wissen, dass alles gut ist“.

„Nicht lange überlegt“

Doch immerhin seien die Kinder hier in Sicherheit und müssen in keiner großen Unterkunft mit vielen anderen leben. Bei ihrer Ankunft bei Familie Schmidt-Hauschildt seien sie sehr glücklich gewesen, doch die Sorgen blieben im Kopf. Für die Luhdener Familie wiederum hat sich ebenfalls innerhalb weniger als 24 Stunden der Alltag gedreht. Am Abend zuvor war Jutta Schmidt-Hausschild beim Sport von der Therapeutin gefragt wurde, ob sie jemanden kenne, der Geflüchtete aufnehmen könne. Zwar hatte sie mit ihrem Mann bereits über das Thema gesprochen, doch nichts Konkretes beschlossen. Dennoch sagte sie ohne großes Zögern zu und richtete in kurzer Zeit die oben liegende Einliegerwohnung her. „Viele überlegen zu lange. Wir haben es einfach gemacht und sind sehr froh, die Familie nun hierzuhaben“, so Hauschildt.

Erstmal hätten alle geschlafen, lange geschlafen, erinnern sich Hauschildt und die Ukrainerin zurück. Nur Valentyna nicht, die in Gedanken bei den Verbliebenen in der Heimat ist. Mit ihrem Mann hat sie vier Jahre lang in Dresden gelebt und spricht daher sehr gut Deutsch. Lange wollten sie wieder hierherkommen, doch natürlich nicht unter diesen Umständen. „Ich sehe mein Leben nicht ohne meine Familie, daher hoffen wir, dass wir alle irgendwann wieder zusammen in der Ukraine sein können“. Doch bis dahin sollen die Kinder hier zur Ruhe kommen und den erlebten Schrecken hinter sich lassen. Valentyna, ehemals Bankangestellte, und Alla, Musiklehrerin an einem Gymnasium in Kiew, möchten gerne arbeiten und für sich selber sorgen. Jutta Schmidt-Hauschildt hat sich schon umgehört und einige Möglichkeiten aufgetan.

Werbung

Erschwernisse durch die Bürokratie

Die Bürokratie macht vieles unnötig kompliziert. Doch die Familie Schmidt-Hauschild hat schon viel bewegt: Die achtjährige Anastasya geht seit diesem Mittwoch in die Heeßener Grundschule, und auch der 12-jährige Arsen und der 15-jährige Artur werden diese Woche nach Bückeburg in die Schule kommen. Auch zum Sport – Tischtennis und Turnen – sind die Kinder schon angemeldet. Valentyna hingegen hat sich bereits bei der Kirchengemeinde gemeldet und ihre Übersetzerfähigkeiten angeboten, um anderen Geflüchteten zu helfen.

„Die Hilfsbereitschaft, auch von unserer Familie aus Bielefeld, den Nachbarn und der Dorfgemeinschaft, ist unglaublich groß. Auch die AWO hat uns viel unterstützt und war hilfreich bei den Formularen“, berichtet Hauschildt. Viele Behördengänge standen an: zur Samtgemeinde, zum Sozialamt, zur Ausländerbehörde und vieles mehr. „Alle waren sehr freundlich und hilfsbereit. Dennoch – es heißt, dass alle möglichst schnell arbeiten dürfen. Aber eine Arbeitserlaubnis zu bekommen, ist nicht so leicht wie immer dargestellt“, weiß Hauschildt zu berichten. Sie vermisse übergeordnete Vorgaben und eine Checkliste, die den Menschen dabei hilft, sich schnell zu integrieren.

Innerhalb von 20 Stunden hat sich der Alltag der Luhdener Familie gedreht, doch sie sind froh, der Familie um Valentyna ein sicheres Heim bieten zu können.

Wunsch an die Behörden

„Wir würden uns wünschen, dass die Behörden das besser untereinander koordinieren und leichter Hilfen gereicht werden. Vieles ist noch unklar: Wie können wir die Familie krankenversichern, wie kommen wir an Sprachkurse und wie wird das finanziell unterstützt und woher kommen diese Hilfen?“. Unter anderem die Seite www.stadthagen-hilft.de sei besonders hilfreich gewesen bei all diesen vielen Schritten. Valentyna wiederum macht sich Sorgen über die Kosten: „Ich habe mein ganzes Leben gearbeitet und möchte das auch jetzt tun, um selbst für uns zu sorgen“. „Die Behörden blocken an manchen Stellen. Daher wünschen wir uns mehr Tansparenz und dass Hilfen und Gelder schneller und unbürokratischer fließen“, sagt Rüdiger Schmidt.

Menschen animieren

Die Aufnahme der Geflüchteten habe die Familie keine Sekunde bereut: „Wir können das nur empfehlen und möchten Menschen animieren, sich ebenfalls ein Herz zu fassen und den Geflüchteten zu helfen“, so Schmidt weiter. Bis dahin darf die Familie „so lange wie sie möchten“ bleiben. „In den vergangenen zwei Wochen ist bereits eine richtige Freundschaft entstanden“, konstatiert Schmidt-Hauschild. Am Wochenende haben beide Familien einen gemeinsamen Ausflug gemacht. Auf dem Küchentresen liegt ein Bild, das die kleine „Nastya“ für Jutta Schmidt-Hauschildt gemalt hat. Dennoch bleibt die Sorge um die Heimat und die Familie: „Ich wünsche mir Frieden und Gesundheit für alle Menschen in der Ukraine“, sagt Valentyna abschließend mit fester Stimme.

(Text & Fotos: Nadine Hartmann)

Werbung