„Ja, es wird mehr geschossen“
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(Cammer) Im Rahmen der offenen Bürgersprechstunde machten sich mehrere Cammeruner Anwohner Luft über den stetigen Schießlärm, kommend von der Sammelstandortschießanlage direkt am Orts- und Waldrand.

Bereits im Vorfeld hatte die Bundeswehr hierfür ein Gutachten aufstellen lassen und nutzte nun die Gelegenheit, mit den Anwohnern über diese Problematik ins Gespräch zu kommen.

Standortältester Oberst Bodo Schütte erläutert die veränderten Aufgaben der Bundeswehr und den damit gesteigerten Schießbetrieb: „Nur was wir in Friedenszeiten üben, kann im Gefecht angewendet werden“.

Oberst Bodo Schütte, Standortältester der Bundeswehr in Bückeburg sowie stellvertretender Kommandeur des Kommandos Hubschrauber, und Friedrich Schmeding, Feldwebel für Standortangelegenheiten im Reservedienst, konnten fast 50 interessierte Anwohner auf dem Standortschießplatz begrüßen. Das Interesse war groß, die Stimmung trotz der vorherigen Kritik bei allen Anwesenden positiv. In einem kurzweiligen Vortrag machte Schütte auf die Besonderheiten des Standortes aufmerksam und ging auf die veränderten Aufgaben der Bundeswehr sowie auf den Schießbetrieb und die Ergebnisse des Lärmgutachtens ein – inklusive potentieller Lösungsansätze, um die aktuelle Situation zu verbessern. So viel vorab: Es gibt Lösungsansätze, diese benötigen vor allen Dingen zwei Dinge: Geld und Zeit.

Aufgaben der Bundeswehr im Wandel

Der Cammeruner Bundeswehrstandort war schon vor den dortigen Neubauten gut erhalten und wurde daher, im Vergleich zu vielen anderen Standorten, nicht aufgelöst. Geschossen wurde hier schon immer, und auch Beschwerden über den Schießlärm sind nicht neu. „Schon als ich hier Rekrut war, wurde viel geschossen – das war aber auch eine andere Zeit. Der Warschauer Pakt, der Kalte Krieg – man stand sich bis an die Zähne bewaffnet an der innerdeutschen Grenze gegenüber“, blickt Schütte zurück. Nach der Wiedervereinigung änderten sich auch die Aufgaben, hin zum internationalen Krisenmanagement, weiter in der nationalen Katastrophenhilfe und der Landes- sowie Bündnisverteidigung. „Ein Umdenken fand statt – für Katastrophenhilfe braucht man Decken, keine Haubitzen. So war auch der große Wehretat nicht mehr zu rechtfertigen“.

Friedrich Schmeding, Feldwebel für Standortangelegenheiten im Reservedienst, zeigt den interessierten Anwohnern die Schießanlage und erläutert Problematiken.

„Kaltstartfähigkeit“ wiederherstellen

Mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine 2022 hat sich die Situation abermals gewandelt. Dass die Ukraine so lange wehrhaft bleibt, hätte auch Schütte nicht gedacht. Ein Grund dafür: Das Land hat bereits im Vorfeld, nach der Krim-Annektierung, sein Wehrersatzwesen umgekrempelt. „Dieser Krieg ist extrem modernisiert und entwickelt sich rasant technologisch weiter. Da können wir kaum mitgehen, sodass auch im Bund ein Umdenken stattfinden muss“. Das Stichwort ist heute „Kaltstartfähigkeit“. Eine Lehre aus dem Kosovokonflikt, wo die Bundeswehr ihr Personal mühsam zusammenstückeln musste, um für den Einsatz bereit zu sein. „Wir sind auf den Weg dahin, um unsere Verteidigungsbereitschaft zu steigern“, so Schütte.

Bis zu 300 Meter sind die Schießbahnen lang, umgeben von hohen Wällen und bestückt mit mehreren Holzfängen sowie einem Sandfang am Ende der Bahn.

Lärmgutachten zeigt Grenzwerte auf

Damit kommt wieder der Schießbetrieb auf den Tisch: In Cammer schießen nicht nur die aktiven Soldaten, sondern auch Reservisten. Da viele Standorte geschlossen wurden, konzentrieren sich die Übungen nun auf weniger Anlagen, zudem schießen die Reservisten oft an Samstagen. Die Schießzeiten sind montags bis donnerstags von 7 bis 16 Uhr, freitags von 7 bis 13 Uhr, jeden zweiten Samstag von 7 bis 16 Uhr. Das Nachtschießen findet dienstags von 16 bis 24 Uhr statt. Schießpause ist stets von 12 bis 12.45 Uhr – und diese werde auch penibel eingehalten, wie Schütte mit Nachdruck versichert. Im Gutachten wurden nun 19 Emissionsstationen festgelegt und an verschiedenen Punkten zu verschiedenen Zeiten und unter unterschiedlichen Windbedingungen gemessen. Unter anderem Richtung Cammer-Ort, Berenbusch-Hafen und dem Regioport wurde gemessen. Dabei ist nicht entscheidend, dass geschossen wird, sondern wieviel Schuss von welcher Waffenart und welchem Kaliber abgegeben werden. Diese Daten werden penibel in Tabellen notiert und zusammengerechnet, die Grenzwerte liegen dabei zwischen 50 und 60 Dezibel.

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Der Schießbetrieb unterliegt festen Zeiten und strengen Höchstgrenzen, was die Lärmimmissionen angeht. Hier wird mit einem strengen Schießmanagement darauf geachtet, dass Grenzwerte nicht überschritten werden.

Eine Lehre aus dem Gutachten: Es gibt Obergrenzen für die potentiell möglichen Schüsse. Wenn diese nicht eingehalten werden können, müssen Schützen auf einen anderen Tag vertröstet werden, erklärt der Standortälteste. Darauf werde nun noch mehr geschaut, damit die Grenzwerte nicht überschritten werden. „Wird hier mehr geschossen? Ja. Seit einem Jahr absolvieren wieder Soldaten ihre Grundausbildung hier, deren Zahl noch aufgestockt wird“, macht Schütte ohne Umschweife deutlich. „Nur was in Friedenszeiten geübt wird, kann im Gefecht auch angewendet werden“.

Bauliche Veränderungen brauchen Zeit

Auch der ausgedünnte Forst trage dazu bei, dass der Schall weitergetragen werde. Neben dem effizienteren Verteilen der Schießaktivitäten denken die Verantwortlichen daher auch über bauliche Veränderungen nach. Eine Teil- oder Voll-Überdachung mit einer Kaskadendecke der bis zu 300 Meter langen Schießbahnen wäre grundsätzlich denkbar, auch am Geld mangele es nicht, jedoch sei mit einer Bauzeit von bis zu zehn Jahren zu rechnen. Auch ein provisorischer Schallschutz wäre denkbar, dieser ist jedoch nicht mobil – sobald der Schießende eine Schusslinie weiter vorrückt, steht er wieder frei. „Bei allen Vorhaben ist die Zeit der Klotz am Bein. Wir hoffen, dass die neue Regierung hier Abhilfe schafft“, macht Schütte deutlich. Auch die geforderten Lärmschutzwände seien eine Utopie: Damit eine Wirkung erzielt werden könne, müssten diese Wände rund 20 Meter hoch sein – mit einem 40 Meter tiefen Fundament zwecks Stabilität – „das kriegen wir im Naturschutzgebiet nicht genehmigt“.

Eine Bahn wird aktuell wenig beschossen und befindet sich in so gutem Zustand, dass sie für potentielle bauliche Veräbderungen in Frage kommen würde. Die Finanzierung ist nicht das Problem, sondern der Zeitfaktor.

„Tun alles, damit hier alle in Frieden leben können“

Und nun? Aktuell werden die rechtlichen Werte eingehalten, doch nur mit viel Organisation. Das wird auch erstmal so bleiben. Perspektivisch wird der Bedarf an Schießübungen zunehmen. Der Plan der Bundeswehr: Eine effiziente Schießplanung und die Berechnung, was der Einbau einer Kaskadendecke bringen würde, samt Kosten- und Zeitplan. „Wir arbeiten an einer Lösung, aber wir müssen gucken: Bringt das auch etwas? Wir tun alles, damit hier alle in Ruhe leben können“, versprechen die Verantwortlichen.

Bei einem anschließenden Rundgang konnten sich die Anwohner die Schießbahnen genauer ansehen. Dabei wird ersichtlich: die Bahnen sind bereits heute von großen Schutzwällen umgeben, die mit ihrem Bewuchs für Schutz vor Querschlägern und für Schalldämmung sorgen. Und vielen Tieren eine Heimat geben, was die Pflege dieser Wälle manchmal erschwert. Einige renitente Lurche haben deshalb „Garagen“ bekommen, die sie vor dem Mäher schützen. Am Ende der Bahn wartet ein großer Sandfang auf die Kugeln. Besonders im Fokus der aktuellen Planungen liegt die hintere Schießbahn, die aktuell nur einmal jährlich beschossen wird. Diese soll wieder mehr genutzt werden, da sie sich in einem guten Zustand befände und diejenige sei, die für eine Bebauung und Modernisierung in Frage käme. Hier wäre eine nachträgliche Einhausung leichter umsetzbar.

(Text & Fotos: nh)

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