Strukturelle Systemfehler überwinden: Massive Einnahmeverluste beim Schaumburger Klinikum
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(Obernkirchen) Trotz einer eigentlich guten Entwicklung des Standortes, der 15 Fachabteilungen, der Patienten- und Personalzahlen hat das Agaplesion Evangelisches Klinikum Schaumburg im Jahresabschluss 2021 massive Einnahmeverluste zu verzeichnen.

Nun springen sowohl die Gesellschafter Agaplesion mit einem Darlehen als auch der Landkreis Schaumburg ein, „um die Patientenversorgung jederzeit sicherzustellen“, wie Landrat Jörg Farr erklärt. Wie genau die Hilfe im Detail aussehen wird, ist nun Gegenstand der weiteren Beratungen. Definitiv muss jedoch bei Landkreis-Hilfe anschließend ein Kreistagsbeschluss erfolgen, „möglicherweise im Juli“, sagt Farr unter Vorbehalt.

Acht Millionen Euro ausgleichen

Zurückzuführen sind diese Verluste auf die Pandemie, eine damit zusammenhängende, temporäre Verknappung des Leistungsangebotes, „strukturelle Systemfehler und Hemmnisse“, die in den Rettungsschirmberechnungen die positive Entwicklung des gerade wachsenden, sich in der Etablierung befindlichen Stadtortes nicht einbeziehen, und im Rahmen des Fixkostendegressionsabschlages mit weiteren Einnahmeverlusten in Höhe von acht Millionen Euro als „Wachstumsbremse“ zu Buche schlägt.

Positiver Trend

Dabei zeigte sich seit 2017 ein deutlich positiver Entwicklungstrend, so die Agaplesion-Geschäftsführung. Selbst innerhalb der Pandemie konnte das Klinikum im Jahr 2021 eine wachsende Leistungsentwicklung von elf Prozent vorweisen, im Gegensatz zu anderen Krankenhäusern. Auch die Mitarbeiterzahlen im Pflegedienst wurden sukzessive jährlich um rund 30 Stellen auf heute 290 Stellen gesteigert. Dennoch werden aktuell von den 432 Planbetten nur rund 320 vorgehalten – Gründe liegen unter anderem beim Einsatz des notwendigen Personals auf der Corona-Isolierstation.

Auch die Patientenzahlen konnten gesteigert werden: 2019, vor der Pandemie, wurden im Klinikum 18.486 Patienten behandelt. 2020 waren es, aufgrund des verringerten Leistungsangebots und der Absage nicht notwendiger Operationen, 17.400 Patienten. Im zweiten Pandemiejahr wurde die Vor-Pandemiemarke von 2019 übertroffen, es wurden 18.971 Patienten behandelt. „Das Haus wird besser angenommen, auch während der Pandemie. Das ist nicht die Regel. Gute Bedingungen für die künftige Gesundheitsversorgung im Landkreis“, so Geschäftsführer Marco Ellerhoff.

Hoher Verlust

Dennoch konnten die gesetzten wirtschaftlichen Ziele nicht erreicht werden: Die Jahresergebnisrechnung weist einen Verlust von 2,7 Millionen Euro auf. Auf drei Millionen Euro Verpflichtungen hat der Gesellschafter Agaplesion verzichtet, „sonst wäre das Ergebnis deutlich schlechter“, so Ellerhoff. Ziel war eigentlich ein ausgeglichenes Jahresergebnis, erinnert der Geschäftsführer. „Wir sind klarer Verlierer der Pandemie“, so Ellerhoff und Geschäftsführerin Diana Fortmann. Deutlich wird das durch eine sehr unterschiedliche Berechnung des Corona-Rettungsschirmes für Krankenhäuser, denn dieser wirkt seit 2021 nur sehr eingeschränkt.

Krankenhäuser in Wachstumsphasen würden hier benachteiligt, erklärt Ellerhoff. Den Berechnungen zugrunde gelegt wurden zudem die Zahlen aus 2019, einem leistungsstarken Jahr vor der Pandemie, was dazu führt, dass das Klinikum für die erhaltenen Zahlungen einen Abgleich als Ganzjahresausgleich leisten muss. Allein hier sind Zahlungen in Höhe von 3,1 Millionen Euro fällig. Durch entgangene Einnahmen und Patientenzahlen 2020 hingegen wurden die Rettungszahlen niedriger berechnet, fast fünf Millionen sind dem Klinikum so entgangen. „Wäre wir nicht mitten in der Wachstumsphase, wäre das anders gelaufen.“

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Wachstumsbremse

Als weiteres, strukturelles Hemmnis kommt der Fixkostendegressionsabschlag obendrauf, der neu errichtete Krankenhäuser mit der Entwicklung zum Schwerpunktversorger benachteiligt, indem ein Abschlag in Höhe von 35 Prozent für erbrachte Leistungen festgelegt wird. Bis 2025 werden sich hier rund acht Millionen Euro Einnahmeverluste summieren. „Diese Rechnungen sind für andere Häuser sinnvoll, doch nicht für uns. Wir müssen auf einem niedrigen Niveau noch rabattieren über vier bis fünf Jahre“, so Jörn Marx, Agaplesion-Vorstandsvorsitzender.

Diese Faktoren führen zu einer sehr angespannten wirtschaftlichen Situation und schränken gleichzeitig die Entwicklungsperspektiven des Klinikums stark ein. „Wir dachten eigentlich, wir sind auf einem guten Weg. Doch bei uns hat Corona sehr wehgetan. Wir müssen uns nun sortieren und einen neuen Plan finden“, konstatiert Ellerhoff.

Wollen strukturelle Hindernisse gemeinsam überwinden (von links): Landrat Jörg Farr, Marco Ellerhoff und Diana Fortmann, Jörg Marx, Dr. Axel Rinne und Bernd Hellmann.

Gesellschafter springen ein

Die Gesellschafter des Klinikums – Agaplesion, Landkreis Schaumburg und Stiftung Bethel – sind jedoch überzeugt, dass an die positiven Entwicklungen angeknüpft und auch weiterhin eine verlässliche Gesundheitsversorgung gesichert werden kann. Als Hauptgesellschafter greift Agaplesion dem Klinikum mit einem Darlehen in Höhe von 50 Millionen Euro unter die Arme, zudem ist eine jährliche Unterstützung von bis zu 2,5 Millionen Euro angedacht: „Wir haben viel richtig gemacht die vergangenen Jahre und werden nun doppelt strukturell bestraft. Eigentlich stehen ja sogar fast 16 Millionen im Raum – die acht Millionen Einnahmeverlust und die 7,1 Millionen, die sich aus den noch fälligen 3,1 Millionen Rettungsschirm-Rückzahlungen und den entgangenen Zahlungen in Höhe von 4,6 Millionen Euro zusammensetzen.“ Die Stiftung Bethel trage diese Entscheidungen mit, sei quantitativ jedoch nicht in der Lage, finanziell zu helfen. „Wir haben unsere Anteile vorher eingebracht und diese haben auch eine langfristige Wirkung“, so Bernd Hellmann (Vorsitzender der Gesellschafterversammlung) und Axel Rinne (Mitglied der Gesellschafterversammlung und Vorsitzender der Stiftung Bethel Bückeburg).

Auch der Landkreis soll und will sich beteiligen, schließlich stehe an oberste Stelle das Interesse daran, die Gesundheitsversorgung für die Bevölkerung zukunftssichernd aufrechtzuerhalten, stellt Farr heraus: „Unausgewogene Rahmenbedingungen haben das Klinikum unter Druck geraten lassen, nun müssen wir beraten, wie eine finanzielle Unterstützung ausgestaltet werden könnte“. Dabei haben die Gesellschafter allesamt keine Nachschuss-Pflicht, „wir machen das aber, weil wir sehen, das der Stadtort zukunftsfähig ist“, so Marx. Alle Verluste seien über die 50 Millionen Euro Liquidierung ausgeglichen.

2021 hat das Klinikum enorme Verluste – Insgesamt fast 16 Millionen – auf der Einnahmensseite hinnehmen müssen.

Verantwortung gerecht werden

Da der Versorgungsauftrag jedoch beim Landkreis liege, solle auch dieser sich beteiligen – unabhängig davon, dass er mit zehn Prozent Anteilen der kleinste Gesellschafter sei. In welcher Form diese Hilfe aussehen könne, kann derzeit noch nicht gesagt werden, so Farr. „Wir werden nun die Situation aufbereiten, Möglichkeiten klären und zusammenstellen und dieses Thema anschließend in den Kreistag bringen“. Wann genau, könne nicht gesagt werden. „Vielleicht im Juli“, sagt Farr unter Vorbehalt. „Ich würde erwarten und mich freuen, dass in solchen Fällen auch der Bund und die Länder die Herausforderung mittragen, derartige Häuser zu finanzieren. Wir als Landkreis müssen sehen, dass wir der Verantwortung gegenüber den Bürgern und Mitarbeitern gerecht werden“.

(Text & Fotos: Nadine Hartmann)

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